Von Petra Cain
Wer spät nachts im Viertel unterwegs ist, meint wahrscheinlich, dass er als Einziger noch auf den Beinen ist. Wenn man darüber nachdenkt, kann das aber eigentlich gar nicht sein. Im Viertel wird gebacken, Gaststätten haben lange geöffnet, die Polizei kommt zu Einsätzen, die Taxizentrale ist besetzt, Apotheken haben Notdienst und Zeitungsausträger sind auch schon ab vier oder fünf Uhr unterwegs. Einige Nachtarbeiter haben wir besucht oder befragt.
Eine Nacht und mehr als tausend Brötchen
In der Feuerbachstraße 21 und zwei weiteren Filialen verkauft Bäckermeister Andreas Schultz die Waren, die hier im Hinterhof jede Nacht frisch gebacken werden. Ich durfte in einer Nacht zuschauen und habe Susan, Mike, Michael und David hoffentlich nicht all zu sehr gestört, denn die Arbeitsabläufe sind punktgenau aufeinander abgestimmt. Sonst wäre es auch gar nicht möglich, in der nicht gerade geräumigen Backstube Nacht für Nacht solche Mengen an Backwaren in Handarbeit zu produzieren. Noch dazu ist die Backstube ja nicht leer, sondern die Öfen, Rührmaschinen und anderen Geräte nehmen ebenfalls Platz in Anspruch. Ohne ein gut eingespieltes Team könnten nicht pro Nacht ca. 1.200 Brötchen, zum Wochenende bis zu 2.000, 60-70 Brotlaibe, an die 15 verschiedene Blechkuchen und anderes Gebäck entstehen. Zwischen Mitternacht und ein Uhr kommt der erste Bäcker und setzt Teige in den Knet- und Rührmaschinen an. Daraus werden Mischbrotlaibe und Blechkuchen vorbereitet und gebacken. Die anderen Bäcker stoßen nach und nach dazu, spätestens um drei Uhr ist das Team vollständig vor Ort. An einem langen Tisch liegen um ca. vier Uhr morgens eine Menge gleichmäßig geformter Teigkugeln, aus denen jeweils 36 Brötchen entstehen. Hunderte werden auf eine Reihe mit Stoff bespannter Einschübe gesetzt und in einem Gestell gleichzeitig in einen Garraum geschoben. Brote und Blechkuchen werden in einem Etagenbackofen mit Klappen gebacken und Schmalzgebäck, Apfelballen und Pfannkuchen in einer speziellen Fritteuse. Ab etwa fünf Uhr bereiten die Bäcker noch die Spezialbrote zu.
Nach dem Backen ist die Arbeit aber noch nicht getan: Pfannkuchen müssen mit Marmelade gefüllt und teils glasiert, teils gezuckert werden, Schmalzkringel und Quarkgebäck ebenfalls glasiert und Blechkuchen z. B. mit Schokoguss überzogen werden. Nach dem Abkühlen müssen die Blechkuchen portioniert und von den großen Backblechen auf die kleineren Bleche für die Theken in den Läden umgesetzt werden. Alles geschieht mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Zwischen fünf und halb sechs Uhr kommt auch schon die Verkäuferin und räumt den Laden ein, die Bäcker selbst fahren ab sechs Uhr in drei Touren Backwaren in die Filialen. Um neun Uhr geht der Ofen aus, bis es in der nächsten Nacht wieder losgeht – nur vor Feiertagen nicht.
Eine Nacht und ihre Notlagen
Wesentlich seltener verbringen Apotheker eine Nacht in ihrem Geschäft. Vier bis fünf Apotheken in Leipzig haben jeden Tag Notdienst, der 24 Stunden dauert, von acht Uhr morgens bis 7.59 Uhr am nächsten Morgen, so dass auch die Zeit von acht Uhr bis zu der Öffnungszeit vieler Apotheken um neun Uhr abgedeckt ist. Durchschnittlich zehnmal im Jahr übernimmt jede Apotheke diesen Dienst, so auch die Waldstraßenapotheke, mit deren Inhaberin Angela Jaschke ich sprach. Nur ausgebildete Apotheker oder Pharmazieingenieure dürfen den Notdienst übernehmen. Während der Nachtzeit ist doch erstaunlich viel los, 10–30 mal pro Nacht wird der Notdienst in Anspruch genommen, im Herbst und im Winter deutlich öfter als im Sommer. Die Menschen kommen mit den unterschiedlichsten Anliegen, sie reichen von Nasenspray über Rezepte, die man vergessen hatte einzulösen, bis zu Mitteln, die Notärzte oder Notaufnahmen verschrieben haben. Die Not kann aber auch in ganz anderer Hinsicht groß sein, auch ein Schwangerschaftstest wird schon mal verlangt. Normalerweise ist der größere Andrang bis etwa ein Uhr, dann kann man sich meist ein wenig hinlegen – natürlich mit der Klingel an der Liege. Da der Notdienstplan für ein ganzes Jahr erstellt wird, ist es nicht schwierig, den Dienstplan danach einzurichten.
Ein Monat und seine Einsätze
Zur Gruppe der Menschen, die nachts im Viertel ihrer Arbeit nachgehen, gehört natürlich auch die Polizei. Im Waldstraßenviertel sind regelmäßig Polizisten des Polizeireviers Leipzig-Zentrum nachts auf Streife. Bei Veranstaltungen erhalten sie Unterstützung von zusätzlichen Einsatzkräften. Auf Vermittlung unseres Bürgerpolizisten Tilo Lauchstädt habe ich eine Liste der Einsätze im Zentrum-Nordwest im Januar 2018 in der Zeit zwischen 20 und sechs Uhr erhalten, die wir hier wörtlich zitieren:
„Eine typische Einsatznacht im Waldstraßenviertel gibt es aus polizeilicher Sicht nicht. Im Monat Januar wurden, nach Recherche telefonisch eingegangener Hinweise, Einsätze aus verschiedenen Anlässen registriert. Dies waren u.a.:
– Je eine Blaulichtfahrt nach Einlauf eines Brandmelders und eines Einbruchsalarms.
Beide Einsätze ließen sich auf technische Defekte zurückführen
– Gemeinsam mit den Einsatzkräften des Rettungsdienstes wurde dem Hinweis zu einer hilflosen Person in einer Wohnung nachgegangen: Mensch (und Tier) gerettet
– Aufnahme von zwei Verkehrsunfällen mit Personenschaden und zwei mit „nur“ Sachschaden in den Nachtstunden
– Eine Anzeige ging zur Verursachung von ruhestörendem Lärm in der Nacht ein (Party in einem Mehrfamilienhaus): Ruhe und Ordnung hergestellt
– Schwerpunkt ist zu Tag- und Nachtzeit jedoch die Eigentumskriminalität, wie Diebstahl/Einbruch in Wohnungen (vier, auch Versuchshandlungen miterfasst), Diebstahl/ Einbruch in Pkw (vier) und zehn Kellereinbrüche. Diebesgut hier vor allem Wertgegenstände wie Fahrräder und Werkzeug.“
Herr Lauchstädt beendet die Liste mit einem Dank: „Die Funkenbürger sind ganz schön munter (auch in der Nacht): Wir bedanken uns für viele Hinweise aus dem Wohngebiet.“ In diesem Sinne: Kommen Sie gut durch die Nacht.