Jahnallee 6 Dr. Hans Abelsohn und Dr. Felix Cohn

Jahnallee 6

Hans Abelsohn wurde am 30. Mai 1895 in Bernburg/Anhalt in einer jüdischen Kantorenfamilie geboren. Er legte in Bernburg auch die Reifeprüfung ab und studierte danach in Halle, Freiburg/Breisgau und Berlin Medizin. Während des Ersten Weltkrieg musste Hans Abelsohn das Studium unterbrechen und diente als Sanitätsoffizier an der Front. 1919 erhielt er seine Approbation und am 22 September 1919 verteidigte er an der Universität Berlin seine Dissertation zum Thema „Geschwülste des Schulterblattes“. Im selben Jahr heiratete er die Görlitzerin Käthe Pinner und ging mit ihr nach Magdeburg. Dort hatte er seine erste Anstellung – Volontärassistenzarzt der Hautklinik des Krankenhauses Altstadt – und spezialisierte sich auf dem Gebiet Haut-, Harn- und Geschlechtskrankheiten.

1921 ging Dr. Abelsohn nach Leipzig. Das geschah vor allem auf die Bitten zionistischer Freunde, die wollten, dass er die zionistische Bewegung in der Israelitischen Gemeinde hilft zu stärken, da er schon länger in der Bewegung aktiv war. Er ließ sich in Leipzig als Facharzt mit eigener Praxis in der Frankfurter Straße (heute Jahnallee) nieder, wo sich auch die Wohnung der Abelsohns befand. Er bemühte sich zudem erfolgreich um Zulassung als Kassenarzt, was seine ersten Jahre als Niedergelassener erleichterte. 1922 wurde die Tochter Eva-Miriam geboren, 1930 der Sohn, Ernst Peter.

1928 konnte Abelsohn seine Praxis vergrößern: Die Räumlichkeiten waren wieder in der Frankfurter Straße (heute Jahnalle 6), in einem Haus, in dem auf dem gleichen Flur sein Berufskollege Dr. med Felix Cohn (s.u.) seine Hals-, Nasen- und Ohrenarztpraxis hatte. Abelsohns Praxis war für die damalige Zeit mit modernsten Geräten für Röntgen, Lichttherapie und für die entsprechende kosmetisch-medizinische Behandlung ausgestattet. Zudem publizierte er in medizinischen Fachzeitschriften oder entwickelte ein neues Medikament zur Behandlung von Furunkeln. In der Medizinischen Gesellschaft zu Leipzig, deren Mitglied er war, hielt er Vorträge.

Dr. Abelsohns Aktivitäten für die jüdische Gemeinschaft waren breit gefächert: So war er zum Beispiel neben der Funktion als Mitglied des Vorstands der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, Ortsgruppe Leipzig, 1935/36 auch als Gemeindevertreter der Israelitischen Religionsgemeinde tätig. Er war Mitglied der Leipzig-Loge und in der Gesellschaft der Freunde aktiv, die sich der Weiterbildung in Kunst und Wissenschaft der Gemeindemitglieder widmete. Einen großen Teil seiner Freizeit widmete er der Arbeit im Jüdischen Kulturbund, dem er von 1935 bis zu seiner Emigration 1938, angehörte. Ab Februar 1936 hatte er dort den Vorstandsvorsitz inne. In dieser Funktion organisierte und begleitete er die bauliche Erhaltung und der inhaltlichen Sicherung der Arbeit des Battenberg-Theaters in Leipzig. Dieses ehemalige Komödientheater und Varieté hatte nach Einstellung des Theaterbetriebs und Schließung des Hauses 1932 die Israelitische Religionsgemeinde anmieten und so für eigene kulturelle Zwecke nutzen können. Damit wurde das Haus eines der wenigen noch verbliebenen kulturellen Treffpunkte der jüdischen Leipziger.

Die Abelsohns waren sich früh im Klaren, dass sie nicht im Deutschland der Nationalsozialisten bleiben können. Im September ergriff Dr. Hans Abelsohn die Flucht über Prag in die Niederlande. Durch freundschaftliche Verbindungen zu einem amerikanischen Konsul konnte er durch seine Hilfe relativ schnell in die USA weiterreisen. Er ist unter der Nr. 4 auf der Passagierliste der am 1. Oktober 1938 von Rotterdam ausgelaufenen „Westbound Voyage – T S S Statendam“ zu finden, die Kurs von Rotterdam über Frankreich und England nach den USA nahm, mit Ziel New York.
In Leipzig hatte die Gestapo am 10. November 1938 auch bei Abelsohns eine Haussuchung vorgenommen, fand den Arzt allerdings nicht vor. Die 16-jährige Tochter Eva war allein zu Hause und wurde ungeschoren gelassen. Im Frühjahr 1939 konnten Käthe, Eva und Ernst Peter Abelsohn über den Weg der Familienzusammenführung auch in die USA ausreisen.

In den USA ließ sich der Arzt zunächst in Chicago nieder. Er musste ein einjähriges Studium absolvieren, um einen anerkannten medizinischen Abschluss und die amerikanische Approbation zu bekommen. Bereits 1940 konnte Abelsohn in Chicago eine eigene Praxis eröffnen. 1964 ging er in Ruhestand, am 28. Juli 1967 beendete er in Palos Verdes seinen Lebensweg.

 

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Am 9.10.1881 wird Felix Benno Cohn in Memel (heute Klaipeda, Litauen) als Sohn des Kaufmanns Moritz Cohn und dessen Frau Rosa geboren. 1914 schließt er das Gymnasium ab und beginnt ein Medizinstudium an der der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. 1920 erhält er seine Approbation als Arzt, 1922 verteidigt er seine Promotionsschrift zum Thema „Über die Wilson’sche Krankheit“. Er heiratet 1921 Margarete (Maja) Wolf aus Bingen und geht mit ihr 1923 nach Leipzig, wo er als Hals-, Nasen- und Ohrenarzt im Petersteinweg 10 eine Praxis eröffnet. 1925 wird die Tochter Rosa Eva Leonore geboren, 1927 der Sohn Hans Georg. Im selben Jahr wechselt Dr. Cohn seinen Praxissitz in die Frankfurter Straße 6 (heute Jahnallee). Seit 1929 wohnte die Familie am Nordplatz 3. Felix Cohn war u.a. Mitglied des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V.“
Sein Sohn Hans Georg konnte 1937 Deutschland verlassen, weil er von der Familie eines Patienten adoptiert wird. Er stirbt in den 1960er Jahren in den USA. Am 1. September1938 wird Dr. Cohn – wie allen jüdischen Ärzten – die Approbation entzogen. Er gehörte jedoch zu den wenigen jüdischen Ärzten, die stattdessen eine Zulassung als „Krankenbehandler“ erhalten und somit darf er als einziger HNO-Arzt täglich zwei Stunden die Leipziger jüdische Bevölkerung behandeln. Im Oktober 1938 wird ihm sein Pass entzogen.


In den frühen Morgenstunden des 10.11.1938 stürmte die Gestapo mit Waffengewalt seine Praxis. Sie schossen durch die hölzerne Praxiseingangstür, hinter der der Arzt stand. Schwer verwundet starb Dr. Felix Cohn wenig später im Polizeigefängnis in der Wächterstr. 3/5 im Alter von 46 Jahren. Dr. Cohn war das erste und bisher einzig nachweisbare Todesopfer, welches das Wüten der Nazis in und unmittelbar nach der Pogromnacht in Leipzig forderte. Er wird am 14.11. unter Aufsicht der Gestapo auf dem Alten Israelitischen Friedhof beigesetzt.


Seine Tochter Eva Leonore gelangt 1939 mit dem ersten Kindertransport aus Leipzig nach England. Sie geht später in die USA und verstirbt dort in den 1970er Jahren. Seine Frau Margarete gelingt es auch 1939 nach England auszuwandern, sie stirbt 1964 in den USA.

 

Jahnallee 6

Hans Abelsohn was born on 30 May 1895 in Bernburg/Anhalt into a Jewish cantor family. He completed his school-leaving exams in Bernburg and then studied medicine in Halle, Freiburg/Breisgau, and Berlin. During the First World War, Hans Abelsohn had to interrupt his studies and served as a medical officer at the front. In 1919, he received his medical license, and on 22 September 1919, he defended his dissertation on „Tumours of the Scapula“ at the University of Berlin. That same year, he married Käthe Pinner from Görlitz and moved with her to Magdeburg. There, he had his first position as a volunteer assistant physician at the Altstadt Hospital’s dermatology clinic, specializing in dermatology, urology, and venereology.

In 1921, Dr Abelsohn moved to Leipzig, primarily at the request of Zionist friends who wanted him to help strengthen the Zionist movement within the Israelite community, as he had been active in the movement for some time. He settled in Leipzig as a specialist with his own practice on Frankfurter Straße (now Jahnallee), where the Abelsohn family also lived. He successfully obtained approval as a panel doctor, which eased his early years in private practice. In 1922, his daughter Eva-Miriam was born, and in 1930, his son Ernst Peter.

In 1928, Abelsohn was able to expand his practice: the premises were again on Frankfurter Straße (now Jahnallee 6), in a building where his colleague Dr Felix Cohn also had his ENT practice on the same floor. Abelsohn’s practice was equipped with the most modern equipment of the time for X-ray, light therapy, and appropriate cosmetic-medical treatments. Additionally, he published in medical journals and developed a new medication for the treatment of boils. He gave lectures at the Medical Society of Leipzig, of which he was a member.

Dr Abelsohn’s activities for the Jewish community were wide-ranging: for example, he was a member of the board of the Zionist Association for Germany, Leipzig chapter, and in 1935/36 he served as a community representative of the Israelite Religious Community. He was a member of the Leipzig Lodge and active in the Society of Friends, which was dedicated to the further education of community members in art and science. He devoted a large part of his free time to the work of the Jewish Cultural Association, of which he was a member from 1935 until his emigration in 1938. From February 1936, he chaired the board. In this role, he organised and oversaw the preservation and content security of the Battenberg Theatre’s work in Leipzig. This former comedy theatre and variety venue had been leased by the Israelite Religious Community after the theatre ceased operations and closed in 1932, allowing it to be used for its own cultural purposes. Thus, the house became one of the few remaining cultural meeting places for Jewish Leipzig residents.

The Abelsohn family realised early on that they could not stay in Nazi Germany. In September 1938, Dr Hans Abelsohn fled via Prague to the Netherlands. Thanks to friendly connections with an American consul, he was able to travel relatively quickly to the USA with his help. He is listed as passenger number 4 on the passenger list of the „Westbound Voyage – T S S Statendam,“ which departed from Rotterdam on 1 October 1938, bound for New York via France and England.

In Leipzig, the Gestapo also searched the Abelsohn home on 10 November 1938, but did not find the doctor. His 16-year-old daughter Eva was home alone and was left unharmed. In spring 1939, Käthe, Eva, and Ernst Peter Abelsohn were able to emigrate to the USA through family reunification.
In the USA, the doctor initially settled in Chicago. He had to complete a one-year course to obtain a recognised medical degree and American medical license. By 1940, Abelsohn was able to open his own practice in Chicago. He retired in 1964 and passed away on 28 July 1967 in Palos Verdes.
 
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On 9 October 1881, Felix Benno Cohn was born in Memel (today Klaipeda, Lithuania) as the son of the merchant Moritz Cohn and his wife Rosa. In 1914, he completed secondary school and began studying medicine at the Albert Ludwigs University in Freiburg im Breisgau. In 1920, he received his medical license, and in 1922, he defended his doctoral thesis on „Wilson’s Disease.“ In 1921, he married Margarete (Maja) Wolf from Bingen, and in 1923, they moved to Leipzig, where he opened a practice as an ear, nose, and throat doctor at Petersteinweg 10. In 1925, their daughter Rosa Eva Leonore was born, and in 1927, their son Hans Georg. That same year, Dr Cohn relocated his practice to Frankfurter Straße 6 (now Jahnallee). Since 1929, the family lived at Nordplatz 3. Felix Cohn was a member of the „Central Association of German Citizens of Jewish Faith.“
His son Hans Georg was able to leave Germany in 1937 because he was adopted by a patient’s family. He died in the USA in the 1960s.

On 1 September 1938, Dr Cohn, like all Jewish doctors, had his medical license revoked. However, he was one of the few Jewish doctors who received a permit as a „sick-care provider,“ allowing him to treat the Jewish population of Leipzig for two hours daily as the only ENT specialist. In October 1938, his passport was confiscated.

In the early morning hours of 10 November 1938, the Gestapo stormed his practice with weapons. They shot through the wooden entrance door of the practice, behind which Dr Cohn was standing. Severely wounded, Dr Felix Cohn died shortly afterwards in the police prison at Wächterstraße 3/5 at the age of 46. Dr Cohn was the first and so far only verifiable victim who died as a result of the Nazi rampage during and immediately after the Pogrom Night in Leipzig. He was buried on 14 November under Gestapo supervision at the Old Israelite Cemetery.

His daughter Eva Leonore left Leipzig in 1939 with the first Kindertransport to England. She later went to the USA, where she died in the 1970s. His wife Margarete also managed to emigrate to England in 1939; she died in the USA in 1964
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