Von Sigrun Helfricht
Henriette Goldschmidt war eine herausragende Leipziger Persönlichkeit, eine Frau der Öffentlichkeit, religiös, selbstbewusst, scharfsinnig, rhetorisch gewandt, ein Organisationstalent, eine Wegbereiterin.
Sie wurde am 23. November 1825 als sechstes Kind eines aufgeklärten, politisch interessierten und sozial engagierten jüdischen Großkaufmanns in Krotoszyn südlich von Posen geboren. Zwar konnten das kleine Städtchen, die Schule und die nach dem Tod ihrer Mutter ins Haus gekommene zweite Ehefrau des Vaters ihr keine großen Anregungen geben, doch ermunterten sie die vielen Hinweise und Initiativen des Vaters, sich mit schöngeistiger Literatur, Philosophie und der humanitär geprägten Weltanschauung zu beschäftigen. Dass ihre Stiefmutter Analphabetin war, prägte ihr späteres Engagement für die Bildung von Frauen und Mädchen: 1865 gründete sie mit anderen Frauen den Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Leipzig und 1871 den Verein für Familien- und Volkserziehung, mit dem Volkskindergärten und Kinderlesehallen in Leipzig entstanden. 1872 erfolgte die Gründung des Seminars für Kindergärten und 1878 das Lyzeum für Damen sowie am 29. Oktober 1911 die Eröffnung der Hochschule für Frauen.
Henriette Goldschmidt hinterließ uns nach ihrem Tod am 30. Januar 1920 im Alter von 94 Jahren ein Vermächtnis, aus dem wir tagtäglich neu schöpfen können, der Tradition und dem Zeitgeist verpflichtet. Tradition ist nach Gustav Mahler die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.