Von Johannes Popp
Gibt es singende Vampire? Offensichtlich ja. In Leipzig gab es zumindest einen davon, glücklicherweise aber nur am Stadttheater, in der Titelpartie der Oper „Der Vampyr“, die am 29. März 1828 hier ihre erfolgreiche Uraufführung erlebte. Sie stammt aus der Feder des Komponisten Heinrich Marschner. In Leipzig erinnern an ihn die Marschnerstraße, die sich vom Sportforum zum Bachviertel erstreckt, und eine Gedenktafel am Ranstädter Steinweg. Der 1795 in Zittau geborene Handwerkersohn, der 1813 zum Jurastudium nach Leipzig kam und später zu einem bedeutenden Opernkomponisten seiner Zeit wurde, ist heute jedoch selbst Opernliebhabern kaum noch bekannt.
Von der Juristerei zur Musik
Das erwähnte Jurastudium gab der junge Student bald wieder auf, um sich ganz der Musik zu widmen. Unterricht nahm er bei Thomaskantor Johann Gottfried Schicht, und er machte sich mit dem Musikverleger Friedrich Hofmeister und dem Thomasorganisten Friedrich Schneider bekannt. 1817 wurde er Musiklehrer in Preßburg (Bratislava) und zog 1821 nach Dresden, wo er von 1824 bis 1827 an der dortigen Oper wirkte. Seine Hoffnung, dort die Nachfolge des 1826 verstorbenen Carl Maria von Weber als Königlicher Kapellmeister antreten zu können, erfüllte sich jedoch nicht.
So kam es ihm gerade recht, dass seine Frau Marianne 1827 ein Engagement als Sängerin am Leipziger Stadttheater erhielt, das damals auf dem heutigen Richard-Wagner-Platz stand. Nur wenige hundert Meter entfernt quartierte sich das Ehepaar am Ranstädter Steinweg, am Verlauf der alten Via Regia, im Gasthof „Goldene Laute“ ein. Heute befinden sich hier anstelle der bereits 1926 abgerissenen Herberge mit mehreren Hofgebäuden die in den 50er Jahren entstandenen Wohnhäuser Ranstädter Steinweg 6–12. An deren Durchgang zum Hof erinnert eine Gedenktafel an Heinrich Marschner.
Mit dem „Vampyr“ zum Erfolg
Das Auskommen in Leipzig sicherte zunächst Mariannes Gage als Sängerin. So blieb dem Ehemann Zeit zum Komponieren. Seine Vorliebe galt schon bald gespenstisch-romantischen Stoffen, und so schuf er hier in der „Goldenen Laute“ seine Oper „Der Vampyr“, deren Uraufführung in Leipzig er selbst dirigierte. Hauptfigur in dieser „Großen romantischen Oper in zwei Aufzügen“ ist Lord Ruthwen, der zum Vampir geworden ist und schließlich vom Blitz getroffen zur Hölle fährt. Offensichtlich war dieser schauerlich-schöne Opernstoff nicht nur für die Theatermacher der damaligen Zeit ein großer Spaß, sondern traf auch den romantischen Geschmack des Leipziger Publikums. Die Oper gilt musikgeschichtlich als Bindeglied zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner, ist heute jedoch nahezu vergessen.
Die „Goldene Laute“ blieb Episode
Trotz des „Vampyr“-Erfolgs und der Aufführung einer weiteren Oper in Leipzig wurde das Geld allmählich knapp, denn Heinrich hatte nach wie vor keine feste Anstellung, und das Engagement seiner Frau am Leipziger Stadttheater war nicht verlängert worden. 1831 folgte Marschner dem Ruf als Hofkapellmeister nach Hannover, wo er 1861 seine letzte Ruhe fand. Die kurze Zeit in der „Goldenen Laute“ in Leipzig blieb also nur eine Episode, dennoch verdankt Marschner, wie so viele Musiker, Leipzig seine musikalische Ausbildung und außerdem seinen ersten Bühnenerfolg.
Foto: Wikipedia: By Kunsthandlung H. Kuntzmann & Comp., Berlin (Scan des Originals: Bernd Schwabe in Hannover) [Public domain], via Wikimedia Commons