Von Beate Schuhr
Liebe Nachbarn, heute und in den kommenden Ausgaben der Waldstraßenviertel NACHRICHTEN berichten wir aus den Küchen in unserem Viertel. Das Waldstrassenviertel ist vielfältig und international. Hier wohnen junge Familien und Senioren, es gibt WG- und Single-Haushalte, wir kommen aus verschiedenen Herkunftsländern und unterschiedlichen Kulturkreisen. Wo kann man diese Vielfalt mit allen Sinnen genießen? In der Küche.
Österreichische Küche: Schweinebraten mit Sauerkraut und Semmelknödeln, anschließend Powidl-Buchteln
Die erste Folge unserer kleinen Reihe führt uns zunächst von Leipzig nach Österreich und in die Vergangenheit. Dort lernen Sie zwei außerordentlich gute Köchinnen kennen: meine Urgroßmutter und meine Großmutter. Meine Großmutter wurde 1902 geboren. Für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, hat sie als junge Frau einen Beruf erlernt und – schon weniger ungewöhnlich – auch gelernt zu kochen. Und zwar außergewöhnlich gut. Ihre Lehrerin war meine Urgroßmutter, selbst eine großartige Köchin und erfolgreiche Küchenchefin im eigenen Hotel. Gekocht wurde auf großen Küchenherden mit mehreren Backröhren und mit Holz- oder Kohlefeuerung. Die Regulierung der Temperatur erforderte viel Erfahrung. Außerdem war das Kochen nichts für schwache Personen. Kuchenteig, Eischnee oder Schlagsahne wurden mit dem Schneebesen und reiner Muskelkraft geschlagen – eine halbe Stunde lang, oft auch länger.
Die Rezepte für unser heutiges Menü entstammen dem „Wiener Kochbuch von Louise Seleskowitz“ von 1879. Das Kochbuch gehörte meiner Urgroßmutter und hat einen abenteuerlichen Weg von Wien über Prag nach Wiesbaden zurückgelegt, bis ich es eines Tages als Geburtstagsgeschenk erhalten habe. Auch meine Großmutter hat nach diesen Rezepten gekocht und sie an ihre Töchter und an mich weitergegeben. Mengenangaben wurden präzisiert und Temperaturangaben hinzugefügt, ansonsten sind die Zutaten und die Art der Zubereitung für das heutige Menü seit vier Generationen unverändert. Die ausführlichen Rezepte und weitere Angaben finden Sie auf unserer Website waldstrassenviertel.de/kochenohnegrenzen.
Fangen wir an
Für den Schweinebraten benötigt man ein schönes Stück vom Kamm, auf keinen Fall zu mager. Das Fleisch abspülen und trocken tupfen, mit Salz und geriebenem Knoblauch einreiben, mit einem Stück durchwachsenem Speck, einer kleingeschnittenen Zwiebel und Kümmel in einen Bräter legen und etwas Wasser angießen. Bei 180 Grad auf der zweiten Schiene von unten mit geschlossenem Deckel 1 Std. 30 Min. garen, danach die Temperatur auf 200-220 Grad erhöhen und noch 1 Std. mit geöffnetem Deckel weitergaren. Während der Garzeit den Braten mehrmals um die Längsachse drehen und immer wieder mit dem Bratensaft begießen. Wichtig: Der Braten darf nicht austrocknen. Vor dem Anschneiden den Braten kurz ruhen lassen. Den Bratensaft durch ein Sieb gießen und zum Fleisch servieren. Das Sauerkraut wird gewürzt mit Wacholderbeeren, Pimentkörnern, Lorbeerblatt und Kümmelsamen und mit einem kleingeschnittenen Apfel und etwas Weißwein weich gekocht. Danach wird das Kraut mit einer Speck-Einbrenne gebunden und heißt dann „Eingebranntes Sauerkraut“ oder „Choucroute à la Viennoise“. Jetzt geht’s an die Semmelknödel: 8 Brötchen vom Vortag in kleine Würfel schneiden, mit 500 ml lauwarmer Milch übergießen und die Brötchenmasse mit etwas Butter, 3 Eiern, Salz, Pfeffer und einem Bund gehackter Petersilie mischen und 15 Min. ruhen lassen. Aus der Knödelmasse mit feuchten Händen 6-8 Knödel formen, in leicht siedendem Salzwasser 15-20 Min. garen. Mit dem Schaumlöffel herausnehmen und vor dem Servieren gut abtropfen lassen.
Zum Abschluss gibt es eine süße Hefe-Mehlspeise, die im Backofen darauf wartet, als Dessert lauwarm serviert zu werden: Buchteln, gefüllt mit Powidl, dem österreichischen Pflaumenmus. Dazu einen feinen Hefeteig, angereichert mit Eiern und Butter, mit Vanillemark und Zitronenschale aromatisieren. Zugedeckt an einem warmen Ort gehen lassen, dann zu einer Rolle formen und diese in gleich große Scheiben schneiden. Jedes Stück rund ausrollen, etwas Powidl darauf geben, den Teig über dem Powidl mit den Fingern zusammendrücken und die kleinen Bällchen – die Buchteln – nebeneinander, aber jeweils getrennt durch eine dünne Schicht flüssiger Butter, in eine Auflaufform setzen. Zudecken und erneut gehen lassen. Im vorgeheizten Backofen bei 200 Grad auf der mittleren Schiene 35-40 Min. backen, mit Puderzucker bestäuben und warm servieren.
Dazu möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen: Im Kochbuch meiner Urgroßmutter habe ich ein Lesezeichen gefunden. Einen Brief zweier Enkelkinder an ihre Großmutter. Die beiden Kleinen sind meine Patentante und ihre Schwester und der Brief markiert seit über 80 Jahren als Lesezeichen das Rezept für eine der beliebtesten Mehlspeisen der österreichischen Küche. Die gefüllten Buchteln.
Das, liebe Nachbarn, war die erste Folge von „Kochen ohne Grenzen“. Ich freue mich, wenn Sie Appetit bekommen haben und bei einer der nächsten Folgen vielleicht selbst dabei sein möchten und uns einen Einblick in Ihre Küche geben.
Ergänzend zum Text in der Print-Ausgabe der Waldstrassenviertel-Nachrichten finden Sie hier zu jeder Folge das Kurz-Interview ‚In der Küche‘. Willkommen in den Küchen Ihrer Nachbarn!
In der Küche: Beate
Seit wann kochen Sie? Seit meiner Studentenzeit.
Wie haben Sie gelernt, zu kochen? Von den Frauen in der Familie und aus Kochbüchern.
Für wen kochen Sie am liebsten? Für meine Familie und gute Freunde.
Kochen Sie nach Rezept? Ja, wenn Gerichte neu oder Zutaten unbekannt sind.
Gibt es spezielle Anlässe und dazu spezielle Gerichte? Stachelbeertorte zum Geburtstag für meinen Mann.
Tragen Sie beim Kochen eine Schürze? Nein
Worauf können Sie beim Kochen nicht verzichten? Auf ein scharfes Messer und eine rutschfeste Unterlage zum Schneiden.
Gibt es ein Gericht, das immer gelingt? Lasagne
Und was gibt ‘s sonst noch? Deutsche, Französische, Italienische und Thailändische Küche, gerne auch vegetarische und vegane Gemüsegerichte.
Fotos: Beate Schuhr